Wie steht er wirklich zu mir?

„Seit ca. 6 Monaten habe ich einen festen Lebenspartner. Wir hatten uns vor einem Jahr kennen gelernt. Die Sympathie bestand sofort auf beiden Seiten. Wir telefonierten viel miteinander und trafen uns immer öfter. Heute sind wir fest zusammen, wohnen aber nicht zusammen. Jeder hat also weiterhin seinen Rückzugsort. Eigentlich läuft es zwischen uns ganz gut. Ich fühle mich geborgen, wahrgenommen und geliebt. Dennoch bin ich immer mal wieder sehr traurig, weil ich mich in meinen Gefühlen für ihn unerfüllt sehe. Irgendwie sind unsere Empfindungen füreinander sehr unterschiedlich.

Ja, er ist durchaus sehr freundlich, zärtlich und aufmerksam. Aber in unseren Gesprächen und während unserer Unternehmungen stelle ich ständig Verhaltensweisen und Einstellungen an ihm fest, die mich dahingehend sehr verunsichern, als mir nicht so wirklich klar ist, wie er tatsächlich zu mir steht und wer ich für ihn bin:

Er schert gerne alle Menschen über einen Kamm. Das empfinde ich als sehr übergriffig. Zwei Beispiel: Frauen sind für ihn alle gleich. Also bin auch ich für ihn, wie jede andere. Das lässt mich fragen, ob ich damit für ihn ohne weiteres austauschbar wäre? Zu fühlen, nichts Außergewöhnliches zu sein, tut mir weh. Wie habe ich seine Empfindungen für mich einzuschätzen? Was fühlt er wirklich, wenn wir zusammen sind? Wofür braucht er ausgerechnet mich, wenn doch alle Frauen gleich sind?

Lehrer verdienen für ihn viel zu viel Geld, während er selber sich über viele Jahre richtig ins Zeug legen musste, bis er seinen heute hohen Lebensstandard aufgebaut hatte. Und selbst heute müsse er täglich 12-14 Stunden arbeiten, um den Standard halten zu können. Dass er sich seine Art zu leben selber ausgesucht hatte und sich nun nicht beklagen sollte, ist für ihn kein Argument.

Seine Weltanschauung ist absolut und er stülpt sie auch gerne über mich. Ein Differenzieren ist mit ihm kaum möglich. Das macht unsere Gespräche für mich schwierig und anstrengend. Nicht, dass er rechthaberisch ist, aber seine Meinungen und Haltungen zu hinterfragen, fällt ihm sehr schwer.

Treffen, die wir miteinander vereinbart haben, werden von ihm nicht grundsätzlich eingehalten. Entweder kommt er deutlich später oder auch mal gar nicht. Immer wieder gibt es andere Gründe dafür. Ich habe sein Verhalten grundsätzlich zu verstehen und soll ihm jedes Mal verzeihen. Er ist darüber selber traurig und entschuldigt sich auch jedes Mal wortreich oder mit einem dicken Blumenstrauß und Zärtlichkeiten. Aber wie sehr er mich verletzt, wie demütigend sein Umgang mir gegenüber ist, scheint er nicht zu fühlen. Er sagt immer nur, sich doch entschuldigt zu haben, womit er mir gegenüber gezeigt hätte, seinen Fehler eingesehen zu haben.  Von Feinfühligkeit und grundlegender Verhaltensänderung keine Spur. Was habe ich von seinen Entschuldigungen, wenn er sich selber nicht umstellen will? Würde er mit seinen Geschäftspartnern so umgehen, er wäre längst pleite. Das lässt mich fragen, wie wichtig ich für ihn bin? Wofür braucht er mich eigentlich? Wer bin ich für ihn? Was bedeute ich ihm?

Rufe ich ihn auf dem Smartphone an, drückt er mich oft weg ohne mich aber dann doch zurück zu rufen. Meinen Geburtstag hatte er schlichtweg vergessen. Er rief zwar an diesem Tag an, aber sprach mit mir über ganz andere Dinge. Ihn gefragt, ob er wusste, welcher Tag das war, sagte er schlicht: „Ja, dein Geburtstag“. Damit war für ihn das Thema beendet. Er kam damals erst gar nicht darauf, sich zu entschuldigen und mir wenigstens nachträglich zu gratulieren. Nein, für ihn sind  Geburtstage völlig überbewertet. Und wieder stülpte er mir seine Ansicht über, mit der ich klar zu kommen hatte und bis heute habe.  

Spreche ich ihm auf seine Mailbox, ruft er nicht grundsätzlich zurück. Auf meine WhatsApps oder Sprachnachrichten antwortet er eher sporadisch und erklärt es damit, viel zu tun gehabt zu haben und meine Nachrichten dann schlicht vergessen zu haben. Er hatte mich vergessen? Was war ich für ihn? Eine nette Abwechslung? Es tut ihm zwar jedes Mal sehr leid und er versucht es mit einem leckeren Essen oder anderen Unternehmungen wieder gut zu machen, aber diese Einstellung verletzt mich sehr. Ja, er hat wirklich viel zu tun und ist ständig unterwegs. Das stimmt. Und dass er nicht immer so schnell reagieren kann, wie ich es gerne hätte, stimmt ebenfalls. Dennoch fühle ich mich oft in die zweite Reihe gestellt. An erster Stelle steht seine Arbeit und danach kommt alles andere. Dafür fordert er viel Verständnis ein. Was ich mir für uns beide vorstelle, findet zwar seine Aufmerksamkeit, aber es ändert sich nichts. Wo wir evtl. Kompromisse finden könnten, ist ihm eher lästig. Er geht seinen Weg und ich habe mich da irgendwo einzuordnen. Wenn er aber etwas von  mir möchte oder mich braucht, ist er überaus nett und schmeichelt mir.

Steht er kurz vor der Autofahrt zurück in seine Wohnung, bin ich bereits schon zu diesem Zeitpunkt für ihn nicht mehr präsent. D.h., ich habe das Gefühl der Sehnsucht nach ihm, obwohl er noch da ist, während er schon bereits in seiner eigenen Welt, bzw. in seinen geschäftlichen Gedanken ist. Ihn darauf angesprochen, gab er zu, im Auto an seine Aufgaben zu denken, die er am nächsten Tag vor der Brust hat und auf sein Diktiergerät erste Briefe spricht, die seine Sekretärin am nächsten Tag schreiben muss. Mir gibt dieses Verhalten das Gefühl von „aus den Augen, aus dem Sinn“.

Irgendwie muss ich es jetzt mal schaffen, mit ihm ernsthaft zu reden, bevor unsere Beziehung daran zerbricht.“