Schulprobleme

Zwei Schüler, zwei Themen

"Ich weiß oft nicht mehr, wo mir der Kopf steht: ständig Leistung, Druck, Noten, Zoff mit den Lehrern, die oft total ungerecht sind. Und selbst, wenn meine Eltern mal mit den Lehrern reden, ändert sich danach gar nichts. Die ziehen ihren 'Stiefel' durch, so nach dem Motto "Hauptsache das Thema ist besprochen". Ob ich das so wirklich verstanden habe, scheint nur die Wenigsten zu interessieren. Ich fühle mich oft überfordert, hilflos, bin verzweifelt und weiß mir selber einfach keinen Rat mehr, wie ich die Leistungen erbringen kann. Alles was ich mache, scheint nicht auszureichen - ob ich lerne oder nicht, das kommt aufs selbe raus. Und meine Eltern sagen immer nur: "Da musst du durch - so ist das Leben. Aus Fehlern lernt man." Na super, aber was hilft mir das? Oft sitze ich dann in meinem Zimmer und weine oder ich drehe durch, schreie herum, knall die Türen zu, will, dass man mich endlich in Ruhe lässt oder ich will nur noch weg - weit weg! Wer liebt mich? Wer kümmert sich um mich? Wer interessiert sich wirklich für mich? …

Dieses scheiß Mobbing. Wenn ich morgens zur Schule fahre, habe ich bereits Bauschmerzen. Ich bin eine wirklich gute Schülerin und bin auch immer sehr gut auf den Unterricht vorbereitet. Die Lehrer greifen im Unterricht auf mich zurück, wenn die anderen nicht mehr weiter wissen. Das ist ja einerseits sehr schmeichelhaft, aber andererseits bin ich in der Klasse schon als Streberin verschrien. Weiß ich mehr, als die anderen, kommen Sätze wie: "Ja, wer wenn nicht du.“ „Streberin.“ „Die Antwort weiß bestimmt unsere Streberin.“ Andere Mitschüler grinsen dann. Die Lehrer lassen diese erniedrigenden Kommentare der anderen wortlos stehen. Sie gehen darüber hinweg, so als hätten sie die Sprüche nicht gehört. Oder sie begnügen sich nur damit, dem anderen beiläufig zu sagen: "Lass das mal sein". Sogleich machen sie mit ihrem Unterricht weiter. Mein Problem ist damit aber überhaupt nicht gelöst - im Gegenteil; es dauert nicht lange und in einem anderen Unterrichtsfach kommen wieder solche ausgrenzenden Sprüche von meinen Mitschülern. Und wieder sagt keiner der Lehrer mal deutlich „Stopp“. Auf dem Schulhof will keiner mit mir reden, also verbringe ich die Pausen für mich alleine. ... Scheiß Lehrer! Scheiß Leben! Ich will so einfach nicht mehr. Ich will aus all dem raus, aber wie?

Meine Eltern wollten eigentlich zur Schule und mit der Klassenlehrerin sprechen. Aber das wollte ich nicht, denn das wäre auf jeden Fall herausgekommen und dann wäre der Spießrutenlauf für mich noch schlimmer geworden.

Nur ein einziges Mal erlebte ich es so ganz anders. Wir hatten eine neue Deutschlehrerin bekommen. Bei ihr war die Klasse deutlich ruhiger, als in den anderen Fächern. Und wieder kam in meine Richtung der Spruch: „Ja, du Streberin.“ Sogleich unterbrach die Lehrerin den Unterricht und fragte den Schüler, ob er mich als Streberin bezeichnet habe. Mit aller Überzeugung antwortete er: „Ja. Das ist sie ja auch.“ Sie antwortete: „Ich hoffe, du strebst auch. Ich hoffe, du strebst nach einer guten Note in Deutsch und nach einer guten Note im Abitur. Mit dem, was du gerade gesagt hast, gibst du bekannt, eine faule Socke zu sein. Faule Socken haben aber keine guten Noten, wie deine Deutschnote belegt. Wie fühlst du dich, wenn dich ab sofort alle Mitschüler „faule Socke“ nennen, denn so beschreibst du dich ja auch selber?“ In der Klasse herrschte Totenstille. Mit der Äußerung hatte keiner gerechnet. Auch ich war völlig geplättet. Ab sofort hatte mich zumindest im Deutschunterricht keiner mehr „Streberin“ genannt.  Der eine und andere Mitschüler hörte auch in anderen Fächern damit auf, mich so zu titulieren. Das Mobbing war zwar nicht beendet, hat aber doch einige zum Nachdenken gebracht und zur Verhaltensänderung geführt.

Ich war Schüler einer Realschule. In der siebten Klasse bekamen wir eine neue Englischlehrerin, die voller Vorurteile gegenüber uns Jungen war. Für sie waren alle Jungen computersüchtig, dumm, lernen nicht, machen keine Hausaufgaben, haben nur Interesse an Mädchen, trainieren nur ihre Muskeln, statt ihr Gehirn. Jungen sind unaufmerksam, unordentlich, stören ständig, können nur dumme Sprüche von sich geben und anderes mehr.

Wenn ich die Hausaufgaben nicht richtig gemacht hatte, hieß es sogleich, dass der Lehrstoff  meine geistige Kapazität wohl übersteigt, aber ich sei ja auch ein Junge. Hatten mehrere Jungen Fehler in ihren Hausaufgaben, oder gaben im Unterricht falsche Antworten, kamen Sprüche wie: „Nehmt euch mal ein Beispiel an den Mädchen. Die können das.“  War ich müde und gähnte, behauptete sie sogleich, ich hätte bestimmt bis in die Nacht hinein am Computer gespielt. Das hatte ich gar nicht, aber sie behauptete es. Die Mädchen grinsten dann. Stand ich an der Tafel und wusste nicht mehr weiter, zog sie süffisant ihre Brille von der Nase und sagte: „Z d oder z f – Zu doof oder zu faul? Sechs, setzen.“ Sogleich holte sie ein Mädchen an die Tafel, von der sie wusste, dass die den Lehrstoff beherrschte. Und natürlich machte meine Mitschülerin keine Fehler. Anschließend schaute sie mich  über ihren Brillenrand an und sagte z. B. „Siehst du, so wird das gemacht. Du solltest mal mehr dein Gehirn trainieren, als deine Muskeln.“ Ich war völlig normal gebaut. Was sie mir damit schon wieder unterstellen wollte, wusste ich nicht. Suchte ich mal etwas ein meinem Tornister und sie bemerkte das, ging sie sogleich darauf ein. „Na, spielen wir mal wieder Wühlmaus?“ Es wurde gelacht. „Ich sage ja immer, Jungen und Ordnung, zwei Welten treffen aufeinander.“ Wieder lachten alle – wobei, die Jungen hielten sich hier doch sehr zurück.

Wussten Mädchen mal nicht weiter oder machten Fehler oder stellten Fragen, die eigentlich schon beantwortet waren, blieb unsere Englischlehrerin stets sehr freundlich und erklärte das, worum es ging, noch einmal ganz in Ruhe. Sie unterstützte unsere Mädchen auch immer wieder darin, Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht verstanden haben sollten. Stellte ich eine Frage, sagte sie herablassend lächelnd, wer von den Mädchen mir die Antwort geben könnte. War diese Antwort dann nicht so ganz korrekt, bekam diese Mitschülerin keine dumme Antwort. Nein, sie erhielt Hilfsfragen, um erst dann die richtige Antwort geben zu können. Natürlich wurde sie dafür sogar noch gelobt.

Die Beispiele nahmen kein Ende. Ununterbrochen fühlte ich mich von unserer Englischlehrerin gedemütigt. Ich hasste sie. Sie nahm mir jegliches Selbstvertrauen, jeglichen Mut, jegliche Freude an dem Fach und letztendlich sogar auch die Lust an Schule überhaupt. Schon mit Bauschmerzen fuhr ich morgens zur Schule. Wenn ich allein nur den Begriff „Englisch“ auf meinem Stundenplan las, durchzog mich eine Welle der Aufregung. Abends zuvor konnte ich nicht richtig schlafen, weil ich wusste, dass ich morgen Englisch hatte. Mir wurde zunehmend mehr so gut wie alles egal. Ich konnte und ich wollte nicht mehr lernen. Ich wollte nicht mehr in diesen Unterricht und letztlich auch nicht mehr in diese Schule.

Klar suchte meine Mutter mehrfach den Kontakt zu dieser Lehrerin, denn es wurde immer schlimmer und schlimmer. Und auch der Klassenlehrer wurde beim dritten Gespräch mit einbezogen. Bis dann auch mein Vater sich beruflich frei nahm, um bei jenem Gespräch dabei zu sein, bei dem dann auch die Schulleitung mit einbezogen war. Es wurde alles verharmlost; ich hätte da wohl etwas in den falschen Hals bekommen, sei zudem wirklich ein schwieriger Schüler, der gerne stört, aus dem Fenster starrt, nicht aufpasst und ich sei viel zu still. Typischerweise gab es ein Hin und Her, bis die Entscheidung getroffen wurde, die Schule zu wechseln. Ich kam mit diesem Schulsystem und diese Art der Pädagogik nicht klar. So wechselte ich zur Montessori - Schule, in der ich geradezu aufblühte, machte dort meinen sehr guten Abschluss und bin heute erfolgreicher Bankier.“