Rentner geworden

Als ich vor 6 Monaten in meinen wohlverdienten Ruhestand ging, freute ich mich sehr darüber. Endlich konnte ich 24 Stunden lang machen, was ich wollte, wann ich es wollte, wie ich es wollte. Es war herrlich morgens aufzustehen und keiner sagte mir mehr, was ich zu tun hatte. Keiner schaute mir mehr kontrollierend über meine Schulter, ich war frei von meinen beruflichen Verantwortungen, stand nicht mehr unter Zeitdruck u.v.a.m. Ich war im Dauerurlaub! Diese Freiheiten genoss ich in vollen Zügen. Ich lief innerlich mit einem Dauergrinsen durch mein Leben und wurde deutlich ruhiger. Einen regelmäßigen Tagesablauf hielt ich mir jedoch bei, damit in meinem Leben weiterhin eine Struktur war.

Da meine Frau den Haushalt führte, für das Essen und den Einkauf sorgte, sah ich keinen Grund, das zu ändern. Ich setzte mich also nach dem Frühstück ins Wohnzimmer und genoss es, die Tageszeitung ganz in Ruhe zu lesen, schaute Fern, trank einen zweiten Pott Kaffee und war mit mir und der Welt sehr zufrieden. Am Wochenende fuhren meine Frau und ich ins Grüne, wir setzten uns in ein Cafe, besuchten Freunde oder bekamen selber Besuch. Alles lief genauso ab, wie immer.  

Es dauerte ca. 3 Monate, bis meine Frau sich über mein Nichtstun beklagte. Sie war es leid, dass ich nur auf meinem Hintern saß, während sie alles alleine machen musste und forderte meine Mithilfe ein. Mithelfen? Im Haushalt? Ich wusste gar nicht, wie das ging. Das Badezimmer und die Toilette putzen – igitt. Bügeln, kochen, die Fenster putzen, Gardinen waschen, Staub putzen und saugen, …? Ne, das hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Meine Frau hatte das alles doch all die Jahre zuvor stets alleine gemacht und sich bei mir nie darüber beschwert. Es kam zum ersten Ehekrach in meinem Rentenalter. denn mich verweiblichen lassen, das wollte ich wahrlich nicht. Für mich gab es eine ganz klare Trennung zwischen dem, was Frauen und Männer tun. Mich um das Auto zu kümmern, den Rasen zu mähen und auch im Garten mitzuhelfen, das war o.k., tat ich es zuvor ja auch. Und für die Getränke fühlte ich mich ebenfalls weiterhin verantwortlich. Die Kästen sind für Frauen auch viel zu schwer; da gehört es sich, Gentleman zu sein. Aber Haushaltsführung mit zu übernehmen, das ging gar nicht. Im Verlaufe unseres Streits hielt meine Frau mir vor, mich wie ein Pascha zu verhalten und sie wie ein billiges Putzmädchen zu behandeln. Ich sei mit meiner Einstellung ein Macho vor dem Herrn. Solche harten Worte hatte sie noch nie zu mir gesagt und so hatte ich mich zuvor auch nie gesehen. Sie hielt mir weiter vor, mir endlich ein Hobby suchen zu sollen, statt den lieben langen Tag nur herum zu sitzen, sie in ihrem Tun zu beobachten und zu kritisieren. Wenn ich das alles besser könnte, dann sollte ich diese Dinge in Zukunft übernehmen. Und außerdem könnte ich ja zumindest morgens, mittags und abends den Tisch decken, anschließend wieder abräumen und spülen.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Ihr Leben und ihre Aufgaben hatten sich doch gar nicht verändert. Mein Leben wurde inhaltsleerer, aber doch nicht ihres. Mit ihrem Hinweis, mir ein Hobby zu suchen, hatte sie durchaus recht, denn so langsam wurde es mir durchaus hier und da mal langweilig. Aber, dass ich ein Pascha war und ein Macho vor dem Herrn, das ging deutlich zu weit. Ich verehrte meine Frau sehr, und das wusste sie auch. Wie konnte sie das nur sagen und mich damit so sehr verletzen? O.k., den Frühstücks-, Mittags- und Abendbrottisch aufzudecken, anschließend alles wieder wegzuräumen und zu spülen, damit hatte sie Recht. Das war nicht zu viel verlangt. Aber damit war meine Mithilfe auch beendet – so meinte ich es zumindest.

Wieder ein paar Wochen später – ich hatte immer noch kein Hobby - beklagte sich meine Frau erneut bei mir. Ich könnte ja mal einkaufen gehen und die Kartoffeln schälen, den Mülleimer runterbringen und die Teppiche saugen. Anschließend drückte sie mir den Einkaufszettel in die Hand, gab mir einen Einkaufsbeutel und Geld mit und befehligte mich, einzukaufen. Ich ließ das erst einmal so stehen und ging. Ca. 2 Stunden später kam ich wieder nach Hause. Meine Frau fragte, wo ich so lange gewesen war. Ich sagte: „Einkaufen“, woraufhin sie lachte. Ich fühlte mich wie ein kleiner Junge  und war sauer. Jetzt war ich für uns beide einkaufen gegangen und sie lachte mich aus, weil ich so lange dafür gebraucht hatte. Unverschämt. Für den Rest des Tages sprach ich mit ihr nur noch das Notwendigste. Am nächsten Tag sprachen wir über diese Situation und klärten miteinander, wer, was, wie aufgefasst und gemeint hatte. Fortan gingen wir gemeinsam einkaufen. Die vollen Einkaufstaschen trug selbstverständlich ich nach Hause – das gehörte sich für mich so.

Hier und da übernahm ich kleinere Aufgaben, aber dennoch kamen wir immer öfter in Diskussionen. Ich selbst wurde immer muffeliger, kritisierte an vielem herum, mir war langweilig, mich interessierte immer weniger und ich konnte mich zu nichts so wirklich mit Freude aufraffen. Meine Frau nervte es, mich täglich nur herumsitzen zu sehen und unser Eheleben litt gleichermaßen. Unsere gemeinsamen Gespräche wurden weniger, im Cafe saßen wir schweigend beieinander, was sich auch auf unsere Spaziergänge ausdehnte. Wir hatten uns immer weniger zu sagen. Meine Frau ging zweimal pro Woche zum Sport. Einmal wöchentlich ging sie zum Altersheim, um dort den Menschen die Zeitung vorzulesen, mit ihnen zu basteln oder im angrenzenden Park spazieren zu gehen bzw. den Rollstuhl zu schieben. Und was tat ich? Ich saß auf dem Sofa, schaute fern, las die Zeitung, aß den Kühlschrank leer, wurde immer dicker und vor allem immer unzufriedener.“