Mit 53 arbeitslos - und nun?

„Bedingt durch die Insolvenz meines Arbeitgebers, bei dem ich als Industriekaufmann in der Funktion des Abteilungsleiters im Einkauf arbeitete, wurde ich mit 53 Jahren arbeitslos. Auf dem Arbeitsmarkt war ich nicht mehr vermittelbar. Da ich aber eine Familie und eine noch abzuzahlende Eigentumswohnung finanzieren musste, brauchte ich schnellstmöglich Geld. Meine Frau arbeitete zwar auch (Pflegebereich), aber ihr Gehalt und mein Arbeitslosengeld reichten vorne und hinten nicht aus.

Da bei uns in der Nähe eine Imbissbude mit sehr gutem Kundenstamm sowie einer erst vor 5 Jahren renovierten Küche und komplett neuen Innenausstattung zum Verkauf anstand, machten wir einen Termin mit unserem Steuerberater. Er rechnete durch, ob wir überhaupt in der Lage waren, dieses Wagnis zu finanzieren. Wir waren es.

Den Besitzer vom Imbiss kannten meine Frau und ich sehr gut. Auch mit ihm sprachen wir und legten ihm unsere Idee vor. Doch so wirklich begeistert war er zunächst nicht, denn wir kamen nicht aus der Gastronomie; das war seiner Meinung nach aber zwingend notwendig, sonst würde unser Traum schnell geplatzt sein. Da er seinen Imbiss aber erst in ca. 8 Monaten verkaufen wollte, einigten wir uns darauf, dass ich bei ihm in dieser Zeit eine Art Schnellausbildung in der Gastronomie erhalte. Er zeigte mir in dieser Zeit alle Unterlagen, beriet mich bei der Planung des Wareneinkaufs, den wir ab sofort gemeinsam vornahmen. Ich erlangte die Kenntnisse über die unterschiedlichen Warenlagerungen und er erklärte mir, wie ich den Verkaufspreis der Gerichte so berechne, dass wir finanziell gut leben konnten (Gehalt, Wareneinsatz, Warenlagerung, Strom, Miete,…). Die Hygieneregeln, Rechtsvorschriften und anderes mehr lernte ich zu Hause und machte eine Prüfung zum Thema Hygiene und Unfallschutz.  Mein „noch“ Chef war ein sehr strenger „Lehrmeister“. Ich merkte sogleich, dass er ein Perfektionist war, was mir sehr hilfreich war. Buchhalterisch war ich ja selber sehr gut ausgebildet und in der Praxis mehr als geübt, sodass dies kein Problem war. Die Rezepte überließ er mir, weil der große und sehr treue Kundenstamm Veränderungen im Geschmack und der Zubereitungsart nicht mochte. Um diese Tatsache wirklich zu verinnerlichen, gab er mir die Möglichkeit, etwas Neues einzuführen.

Voller Begeisterung machte ich mich ans Werk. Da ich ursprünglich aus NRW komme, führte ich in Bayern die berühmte Ruhrpott-Currywurst ein. Sie besteht aus einer leicht würzigen, festen Bratwurst mit Currysauce. Doch leider gab es diese Art von Bratwurst nicht zu kaufen. So ließ ich mir erst einmal 100 Stück aus NRW schicken. Die Sauce, an der wirklich alles hängt, war von mir nach mehreren Versuchen selber entwickelt worden. Es gibt 100 und ein Rezept für eine Currysauce und die Grundzutaten sind stets dieselben. Aber meine sollte die richtige Konsistenz und einen tollen, frischen Geschmack haben. Hier die Feinheiten herauszuarbeiten ist nicht ganz einfach. Voller Elan und von meinem Produkt überzeugt, bot ich sie kostenfrei in kleinen Probierschalen mit 3 Stückchen Currywurst an. Anfangs waren die Kunden durchaus neugierig, doch so wirklich wollte der Funke nicht überspringen. Ich behielt sie aber dennoch bei.

Nach 8 Monaten übernahm ich den Imbiss. Meine Frau kündigte, sodass wir beide gemeinsam diesen Imbiss für uns aufbauten. Wir erstellten eine neue Internetseite, auf der alle Gerichte und Getränke einschließlich Fotos und Preisangabe ersichtlich waren. Den Namen der Imbissbude behielten wir bei, weil er viel zu bekannt war. Der Imbiss florierte! Alle Stammkunden kamen weiterhin zu uns und die Laufkundschaft war üppig. Wir waren glücklich und von unserer finanziellen Not endlich befreit.

Wir stellten sogar noch einen weiteren Mitarbeiter ein, der für uns einen Imbisswagen an einem Einkaufszentrum leitete. Diesen Wagen dort täglich stehen haben zu dürfen, war rechtlich gar nicht so einfach. Doch mein Enthusiasmus war so groß, dass mir keine Hürde zu groß erschien. Dieser Wagen florierte ebenfalls hervorragend und machte zusätzlich auch noch Werbung für meine Imbissbude. Alle Kunden waren überaus zufrieden mit unseren Gerichten, die Pommes waren außen knusprig und innen weich, das Fleisch, die Salate u.a.m. wurden sehr gerne angenommen, sodass meine Frau und ich mehr als zufrieden waren. Vom Büroangestellten zum Imbissbudenbesitzer mit eigenem Verkaufswagen am Einkaufszentrum war schlichtweg herrlich.

Doch - und das muss ich heute wirklich zugeben - wir hatten völlig unterschätzt, wie sehr dieses Geschäft unsere Freizeit, Erholungsphasen und unser Familienleben einschränkte. Auch unsere Zweisamkeit litt deutlich. Wenn andere frei hatten und ihre Wochenenden genossen, standen wir bis spät abends im Geschäft. Gleich früh morgens hieß es täglich, Ware einzukaufen, alles an Saucen, Salaten, Gerichten frisch vorzubereiten, die Theke zu gestalten, …, um dann von 12 – bis 21 Uhr wieder zu öffnen. In den Urlaub zu fahren, war unmöglich. Wir hatten keine wirkliche Vertrauensperson, die unseren Imbiss und den Verkaufswagen so leiteten würde, dass wir uns in Ruhe hätten erholen können.

Unsere drei Kinder litten sehr unter dieser Situation, war es doch meiner Frau fortan nur noch möglich, nachmittags für wenige Stunden zu Hause zu sein, die Wäsche zu machen, die Wohnung zu putzen, einkaufen zu gehen, die Kinder in ihren Sorgen, schulischen Belangen und anderem mehr zu betreuen. Ich selbst bekam kaum etwas von der Entwicklung unserer Kinder mit. Wir beide gingen also recht schnell „auf dem Zahnfleisch“. So waren dann meine Eltern und Schwiegereltern bereits, unsere drei Kinder mit in den Urlaub zu nehmen, damit sie ihre Ferien und ihren Spaß hatten. Zum Teil teilten wir unsere Kinder auch auf. Zwei fuhren mit Oma und Opa mütterlicherseits, das andere Kind fuhr mit meinen Eltern und umgekehrt.

Was nützte uns das Geld, wenn die Familie auseinander zu fallen drohte? Also beschlossen wir, den „Laden“ montags zu schließen. Das war aber auch keine wirkliche Lösung, denn wir mussten ja dennoch für das Geschäft einkaufen, vorbereiten, die Buchhaltung machen und vieles mehr. Ein wirklicher Mehrwert war das für unsere Familie und mich nicht wirklich.“