Meine Mutter klammert so

„Als Sohn behandelt mich meine Mutter – ich bin 26 Jahre alt und lebe seit 5 Jahren alleine - immer noch wie ein Kind. Die Bereiche, in denen sie meint, mitreden oder mir etwas sagen zu dürfen, sind grenzenlos. Egal, ob ich meine Eltern besuche oder meine Mutter anrufe, sie ist diejenige, die z.B. stets sagt und bestimmt, was ich zu tun und zu lassen habe. Und da spielt es gar keine Rolle, ob es sich tatsächlich um Belange meines Privatlebens handelt. Mama mischt sich in alles ein und fühlt sich auch stets gefragt, selbst wenn sie es nicht ist.

Muss ich zum Arzt, sagt sie mir am Telefon, was ich ihm zu sagen habe und worauf ich ihn auf jeden Fall hinweisen muss.

Kaufe ich mir neue Klamotten, fragt sie anschließend, wo ich sie gekauft habe. Sind es nicht die Geschäfte, in denen sie selber einkaufen geht, beklagt sie sogleich die Qualität, ohne meine Sachen überhaupt gesehen zu haben.

War ich beim Frisör, fummelt sie mir mit ihren Fingern an meinen Haaren herum, fordert mich auf, mich umzudrehen, damit sie den Hinterkopf sehen kann und merkt an, dass ihr mein Haarschnitt so gar nicht gefällt und es bessere Frisöre gibt.

Gehe ich mit Vater und dem Hund spazieren, muss ich mir Schal, Mütze und Handschuhe anziehen, weil es ihrer Meinung nach zu kalt ist. Weise ich das ab, besteht sie so sehr und mit Nachdruck darauf, dass es schon bald Krach gibt. Also ziehe ich alles an, um meine Ruhe zu haben.

Fliege ich mit meiner Freundin in den Urlaub, sagt sie mir, wohin ich am besten fliegen soll, damit mir auch bloß nichts passiert; von ihr spricht sie gar nicht. Natürlich zählt sie auf, was ich unbedingt in den Koffer packen soll, um auf alles vorbereitet zu sein, denn man weiß ja nie. Es könnte z.B. sein, dass ich mich erkälte oder gar eine Mittelohrentzündung bekomme oder es regnet. Und ich soll mit dem Trinkwasser und Essen aufpassen. Da hätte sich schon so mancher den Magen verdorben. Ach ja, und das Autofahren sei im Ausland ebenfalls ganz gefährlich. Ich soll bloß vorsichtig sein, wenn wir uns einen Wagen mieten. Am Flughafen werden noch einmal alle Vorsichtsmaßnahmen wiederholt, gefolgt von einer langen Umarmung. „Pass gut auf dich auf und komme mir wieder heil nach Hause.“ Erneut geht es nicht um meine Freundin, sondern nur um mich. Sie erhält eine kurze Umarmung, verbunden mit einem kurzen Gruß.

Meine Freundin ist ihr eigentlich auch nicht gut genug. Nicht, dass sie sie nicht leiden mag, aber Mutter kennt da eine andere junge Frau, die ganz hervorragend zu mir passen würde. Mit der sollte ich doch mal Kontakt aufnehmen. Sie, also meine Mutter, könnte das auch arrangieren. Diese junge Frau käme aus einem ganz hervorragenden Elternhaus und sei auch sehr gebildet. Mit der würde ich überall Eindruck machen. 

Mutter nimmt mir auch alles ab. Sind meine Eltern bei mir zu Besuch und ich koche, kommt sie in die Küche, kritisiert mein Tun und drängt sich ins Geschehen. „So macht man das nicht. Lass mich mal ran. Ich sehe nämlich schon, dass das nichts wird.“ Und ehe ich mich versehe, schwingt sie den Kochlöffel, befielt mir, schon mal den Tisch zu decken und bloß nicht die Puddingschälchen zu vergessen. Beim Abtrocknen ermahnt sie mich, das bloß richtig zu machen, so als täte ich das zum ersten Mal.

Sind ihr meine Hemden oder T-Shirts ihrer Meinung nach nicht gut genug gebügelt, greift sie kurzerhand zum Bügeleisen und glättet sie nach ihren Vorstellungen. „Komm, gib mir mal das Bügelbrett und -eisen. Wie kann man nur so herumlaufen? Also von mir hast du das nicht gelernt. Und jetzt schau zu, damit du das endlich alleine kannst.“ Anschließend erklärt sie mir, wie man Hemden und T-Shirts in welcher Reihenfolge der einzelnen Bestandteile bügelt.

Helfe ich Vater im Garten mit, kommt Mutter, beobachtet mein Tun, befiehlt mich oder nimmt es mir aus der Hand und macht es selber. Anschließend beklagt sie sich bei mir darüber, alles alleine gemacht haben zu müssen. Ich sei noch nicht einmal zur Gartenarbeit zu gebrauchen.

Mutter kontrolliert in meiner Wohnung sogar meine Schränke. So ganz nebenbei und unbeobachtet, schaut sie nach, ob auch alles ordentlich drin liegt, also nach ihren Vorstellungen geordnet ist. Wenn nicht, dann räumt sie es selber um, ohne mich zu fragen. Oder ich muss es unter ihrer Aufsicht umräumen. „Man, Junge, du hast wirklich noch viel in deinem Leben zu lernen. Alles muss ich bei dir kontrollieren. Wann wirst du endlich mal eigenverantwortlich?“

Mit Argusaugen überprüft sie, ob sie in meiner Wohnung irgendwo Staub findet und weist mich darauf hin. „Hier müsstest du aber auch mal drüber wischen. Und hast du auch an die oberen Türeinfassungen gedacht.“ Ehe ich mich versehe, geht sie mit dem Finger über die dünne Leiste und prüft die Sauberkeit. Schrecklich! Zu Weihnachten schenkte ich ihr mal einen in Leder eingebrannten Spruch. Er lautet: „Nur ein Kleingeist hält Ordnung. Ein Genie überblickt das Chaos.“ Den Wink mit dem Zaunpfahl hatte sie damals durchaus verstanden, doch geändert hat sich bis heute gar nichts.

Auf der anderen Seite bin ich aber auch wiederum nicht ihr Sohn, sondern bei meinen Eltern zu Hause ein Gast. Also habe ich mich - gleichfalls meiner Freundin - entsprechend zu benehmen. Hier ein paar Beispiele: Ich muss fragen, wenn ich mir z.B. etwas aus dem Kühlschrank nehmen möchten, oder Schokolade aus dem Schrank oder Obst aus der Obstschale. Wollen wir Kaffee trinken und Kuchen essen, muss ich erst fragen, ob ich schon mal den Tisch decken oder den Kuchen schneiden soll. Entscheide ich das nämlich eigenständig, um ihr zur Hand zu gehen, kann das zum größten Streit führen, weil ich dann meiner Mutter ungefragt ins Handwerk gepfuscht habe. Gehe ich wortlos zur Toilette oder irgendwo anders hin, fragt sie sogleich, wohin ich gehe. Also habe ich mir angewöhnt, immer zu sagen, was ich jetzt mache. Da ich Gast bin, habe ich die Gästetoilette zu benutzen, nicht aber die Badtoilette. Und auf das Sofa darf ich mich nicht legen, sondern nur setzen. Am liebsten wäre es meiner Mutter, wenn ich nur die Stühle benutze. So wird das Sofa geschont.

Meiner Freundin geht mein Verhalten auf den Wecker, trete ich doch in ihrer Wohnung genauso auf. Genervt verdreht sie jedes Mal die Augen und fordert mich auf, doch einfach das zu machen, was ich machen möchte, ohne es ihr jedes Mal mitzuteilen. Und ich soll bitte endlich mal damit aufhören, zu fragen, ob ich mir etwas aus dem Kühlschrank nehmen oder mir ein Bier öffnen darf. Für sie sei ich ein Muttersöhnchen, das sich nicht traut, sein eigenes Leben zu leben. Ich sei wie ein kleines, unselbständiges Kind, und wenn das nicht aufhören würde, werde sie sich von mir trennen.  

Sie mag meine Mutter überhaupt nicht. Ja, sie ist ihr geradezu unsympathisch. Fahren wir beide zu meinen Eltern, kann man bei ihr von Freude nicht sprechen. Sie empfindet es als eine sehr ungeliebte Pflichtveranstaltung und ist jedes Mal froh, wenn wir wieder nach Hause fahren.

Auch die überschwängliche Freundlichkeit meiner Mutter geht ihr auf die Nerven. Diese unnatürliche Art ist ihr zuwider. Meine Freundin lächelt zwar, aber eigentlich denkt sie etwas ganz anderes und das ist ihr zu anstrengend.

Meine Mutter hat auch die Angewohnheit, alle Leute auszufragen. Sie führt keine wirklichen Gespräche, in denen beide Seiten sich ergänzen. Nein, ihre Unterhaltungen haben den Charakter eines Verhörs. Sie ist so überaus neugierig, dass meine Freundin jede Situation zu vermeiden sucht, mit ihr zu sprechen. Ruft meine Mutter bei mir an und meine Freundin ist da, lässt sie sich verleugnen. Ruft meine Mutter bei ihr an, geht sie nicht ans Handy. Für unsere Beziehung ist diese Situation ziemlich belastend. Einerseits verstehe ich meine Freundin sehr gut, aber andererseits geht es auch um meine Mutter. Darüber geraten wir immer mal wieder in einen Konflikt. Was soll ich machen? Ich kann meine Mutter nicht ändern. Und dann hält meine Freundin mir vor, mich selbst ändern zu müssen. „Du und deine Mutti, das ist ja nicht mehr zum aushalten. Mutti hat gesagt, Mutti meint, Mutti hat sich erkundigt, Mutti hat schon organisiert. Deine Mutti sagt dir, wo du Klamotten kaufen sollst, welcher Frisör besser schneidet, wohin wir in den Urlaub fliegen sollten, was du in den Koffer packen musst. Sag mal, merkst du noch was? Mutti hier und Mutti da. Ich kann das Wort Mutti schon nicht mehr hören. Am liebsten wäre es ihr wohl, wenn wir bei deinen Eltern ins Dachgeschoss einziehen, damit sie dich noch besser kontrollieren kann. Wer dich heiratet, der heiratet deine Mutti gleich mit. Denk mal drüber nach, sonst bin ich weg.“

Jetzt ist guter Rat teuer. Wenn wir nicht immer das dumme Thema mit meiner Mutter hätten und dadurch auch mit meinem anerzogenen Verhalten, dann ergänzten wir uns fantastisch. Das sieht meine Freundin genauso. Wir beide passen eigentlich wie die Faust aufs Auge. Aber meine Mutter ist für sie ein rotes Tuch.“