Meine Frau starb mit 30 Jahren an Lymphdrüsenkrebs

„Als Familie mit zwei Kindern führten wir ein sehr glückliches Leben. Meine Frau und ich waren wie füreinander geschaffen. Wir liebten uns sehr, hatten viele Gemeinsamkeiten, teilten uns das eine und andere Hobby (Skifahren, Wandern, Radtouren), machten aber auch durchaus unser jeweils eigenes Ding. Sie liebte es, zur Gymnastik zu gehen und ich spielte im Verein hobbymäßig Tischtennis.

Als meine Frau mit 29 Jahren die Diagnose Lymphdrüsenkrebs bekam, waren unsere Kinder 2 und 4 Jahre alt. Unsere Jüngste, Anna-Lena, bekam von diesem Unglück zunächst nichts mit, denn sie wusste ja noch gar nicht, was Tot bedeutet. Sie war unser Sonnenschein, der uns immer wieder zum Lachen brachte. Unser Sohn, Alexander, hatte mit seinen 4 Jahren durchaus schon eine Vorstellung vom Tot. Er wusste, dass Mama dann für immer von uns gegangen war und er sie nie mehr wird sehen können.

Alles begann in unserem Urlaub am Bodensee. Dazu muss man wissen, dass meine Frau bereits schon monatelang zuvor immer wieder Schwellungen an ihren Halslymphdrüsen hatte, die ihr aber gar nicht weh taten. Hinzu kam ab und zu auch Fieber. Also legte sie sich zu Hause ins Bett, denn unsere Kinder waren durch meine und ihre Eltern sehr gut versorgt. Die Symptome traten jedoch immer öfter auf und hielten auch immer länger an. Als wir dann im Urlaub waren, bekam sie diese Beschwerden erneut und heftiger als je zuvor. Also gingen wir zu einem Internisten. Dieser überwies meine Frau sofort ins nächste Krankenhaus, wo sie 3 Tage lag. Wir bekamen die schlimmste Nachricht, die man bekommen konnte. Der Arzt meinte zwar, dass Lymphdrüsenkrebs in 80-90 % der Fälle geheilt wird, aber so wirklich beruhigt war ich nicht. Meine Frau war da ganz anders. Sie blieb durchweg positiv.

Aufgrund dieser Diagnose empfahl uns der Arzt, doch besser nach Hause zu fahren und das Ganze noch einmal untersuchen zu lassen. Meine Frau meinte zwar, wir sollten die eine noch verbleibende Urlaubswoche am Bodensee bleiben, aber sie folgte dann doch letztendlich meinem Rat, nach Hause zu fahren. Aufgrund dessen setzte sich der Arzt mit einer Klinik in Köln in Verbindung, wo wir zwei 3 Tage später waren.

Mit Ausnahme meiner Frau, waren meine Eltern, Schwiegereltern und ich in großer Sorge. Um die Kinder musste ich mir keine Gedanken machen, denn die waren, wie schon gesagt, durch beide Omas und Opas sehr gut versorgt. Das machte es mir leicht, mich um meine Frau zu kümmern und bei ihr in Köln zu bleiben. 

Die Diagnose wurde bestätigt und man gab meiner Frau noch ca. 6 Monate zu leben. Fast alle Lymphdrüsen waren befallen. Es folgten OPs, in denen man ihr die Lymphen zog, sie bekam Bestrahlung und letztendlich auch Chemotherapie, weil nun doch auch zusätzlich andere Organe befallen waren. Dennoch blieb meine Frau weiterhin positiv. Woher sie diese Zuversicht nahm, ist mir bis heute ein Rätsel. Vielleicht war es ihr Lebensmut und unbedingter Wille, leben zu wollen. Ich weiß es nicht. Es zeigte mir aber, wie schon viele Male zuvor, dass sie ein ganz außergewöhnlicher Mensch war. Sie war voller Liebe, Zuversicht, Mut, Kraft, Positivität, Hilfsbereitschaft, innerer Ruhe und Stärke, Besonnenheit und vielem mehr. Als Ehefrau und Mutter war sie die Liebe in Person.

Meine Frau starb 10 Monate nach der Diagnose. Zuvor fuhren wir als Familie noch einmal in den Urlaub. Meiner Frau und mir war bewusst, dass dies unser letzter Familienurlaub sein wird.  

Sie wurde immer schwächer, nahm deutlich ab, ihr Gesicht wurde immer schmaler und sie war sehr oft sehr müde. Alexander, unser ältester Sohn, bemerkte dies und fragte mich, was mit Mama los ist. Ich konnte es ihm nicht ehrlich sagen, sondern schob es auf alle möglichen Gründe, die er akzeptierte. Er kümmerte sich mit seinen inzwischen 5 Jahren rührend um seine Mama, war ganz besonders lieb zu ihr, half ihr, wo er konnte, und wenn es auch nur darum ging, den Abendbrottisch zu decken, alleine abzuräumen und zu spülen. Das machte ihn stolz. Er fühlte sich schon richtig groß und Mama war entlastet, was sie ihm auch jedes Mal liebevoll sagte.

Lange konnte ich ihn nicht mehr im Unklaren lassen. Er spürte, dass mit ihr so gar nichts stimmte und suchte fast täglich mit mir das Gespräch. Manchmal fragte er auch Mama, die ihm ebenfalls versuchte, die Wahrheit zu verschweigen. Doch auch ihr gelang dies immer weniger. So kam es zu dem Tag, an dem wir beide ihm überaus schonend mitteilten, dass Mama sehr krank ist und nicht mehr gesund werden kann. Dass dies ihren Tod bedeuten wird, sagten wir ihm nicht, lobten ihn aber für seine Fürsorge. So halb gelogen, war zwar immer noch belogen, aber was sollten wir machen?

Anna-Lena, inzwischen 3 Jahre alt, blieb weiterhin unser Sonnenschein. Sie fühlte zwar ebenfalls, dass Mama sich in ihrem Dasein veränderte, kümmerte sich darum aber nicht wirklich, sondern forderte weiterhin ihre Aufmerksamkeit und Zeit für sich ein, was gut und richtig war.

Es kam der Zeitpunkt, ab dem meine Frau dauerhaft im Krankenhaus blieb. Anfangs nahm ich unsere zwei Kinder noch mit. Sie krabbelten in ihr Bett, schmiegten sich an sie, küssten ihr auf Mund und Wangen, lagen in ihren Armen, schlossen ihre Augen und waren selig. Meiner Frau und mir flossen dabei oft und leise die Tränen. Die Stationsschwestern und –ärzte waren überaus nett zu ihnen. So durften sie mal ihr eigenes Herz mit dem Stethoskop abhorchen, den Blutdruck bei sich selbst und Mama messen, oder Mamas Mundhöhle befeuchten, wenn sie mit offenem Mund schlief und er dadurch trocken wurde. Sie bekamen Eis oder Kuchen vom Pflegepersonal, die zudem mit beiden auch mal den einen und anderen Scherz machten. Jeder versuchte, es ihnen so angenehm wie möglich zu machen, ihre Mama in ihren Tod zu begleiten. Auch wenn meine Frau dabei nicht immer bei Bewusstsein war, so wusste ich aber, dass sie diesen herzlichen Umgang mit unseren Kindern begrüßt und genossen hätte.

In der letzten Woche ihres Lebens nahm ich unsere Kinder nicht mehr mit ins Krankenhaus. Die Ärzte rieten mir davon ab, denn meine Frau hatte sich äußerlich sehr stark verändert, und es war klar, dass ihr Tod bald eintreten wird. Ich erklärte es Alexander und Anna-Lena damit, dass Mama ganz viel Ruhe braucht und sehr viel schläft. Alexander fragte mich, als er abends in seinem Bett lag: „Papa, sag mir, wann stirbt Mama?“ Mir liefen die Tränen und ich sagte nur: „Sehr bald“. Er wusste ganz genau, was geschah und weinte bitterlich. Ich konnte ihn lange nicht beruhigen. In derselben Nacht stand er an meinem Bett und bat mich, in Mamas Bett schlafen zu dürfen. Das gewährte ich ihm natürlich und fortan schlief er nur noch in ihrem Bett. Ab und zu wollte auch Anna-Lena in Mamas Bett schlafen und so lagen wir dann zu Dritt im Ehebett. Bei Annalena war das aber kein Dauerzustand.

Alexander wollte nach Mamas Tod nicht, dass ich ihre Bettwäsche wusch. Doch nach inzwischen 3 Monaten hielt ich das für zwingend notwendig. Zuerst war er darüber richtig sauer, aber nachdem ich ihm erklärte, dass man Bettwäsche nicht ewig benutzen kann, sah er dies ein. Fortan schief er jedoch nicht mehr in Mamas Bett. Nur Anna-Lena krabbelte immer mal wieder nachts hinein.

Wir gingen ein über den anderen Tag zum Friedhof. Alexander weinte fast jedes Mal oder es liefen ihm leise dicke Tränen die Wangen hinunter. Anna-Lena versuchte dann, ihn zu trösten, nahm ihn bei der Hand oder drückte ihn wortlos. Er stellte Mama sein liebstes Matchboxauto auf den Grabstein, legte ihr sein liebstes Kuscheltier dazu, kaufte ihr von meinem Geld selber drei Rosen, die er in einer Vase auf das Grab stellte und machte anderes mehr. Anna-Lena malte Bilder, die ich folierte und vor den Grabstein stellte. Jede Woche kam dort ein neues Bild von ihr hin.

Wir drei führten viele Gespräche darüber, wo Mama jetzt ist und warum sie nicht mehr zurückkommen konnte. Was ich unseren Kindern aber nie erzählte, weil ich davon nichts hielt, war, dass Mama nun auf einer Wolke sitzt und zu uns herunterschaut. Mir war es wichtig, dass ich unseren Kindern so gut wie möglich erklärte, was passiert war, und warum bzw. wie Mama dennoch weiterhin bei uns Dreien ist.

Mit der Erzieherin im Kindergarten stand ich in einem sehr engen Kontakt, sodass ich gut darüber informiert war, wie unterschiedlich beide mit dem Tod ihrer Mutter umgingen.

Nach einiger Zeit begann Anna-Lena einzunässen. Ich war ratlos. Wie sollte ich damit umgehen? Meine Eltern rieten mir, mit ihr zum Arzt zu gehen. Doch was sollte der daran ändern? Für mich war das eine psychische Auswirkung auf den Verlust der Mama. Das Einnässen war nach ein paar Wochen wieder vorbei. Warum, das weiß ich nicht.  

Alexander wurde immer unausgeglichener. Er zeigte zunehmend mehr ein bockiges und trotziges Verhalten. Über alles und nichts weinte er. Im Kindergarten wurde er schon als „Heulsuse“ tituliert, was die Situation noch schlimmer machte. Selbst die Erzieherinnen hatten ihre Schwierigkeiten mit ihm. Er schlug andere Kinder, machte ihnen ihre Sandburgen kaputt und anderes mehr. Auch mich, meine Eltern und Schwiegereltern forderte er so dermaßen heraus, dass wir nicht mehr wusste, was wir machen sollten. Wir konnten immer weniger mit ihm umgehen. Er verweigerte und verwehrte sich in jeglicher Hinsicht.

Und dann sagte er den Satz, der mich innerlich zusammenbrechen ließ, nämlich: „Scheiß Mama!“ Diesen Satz verstand ich sehr gut. In diesem kam seine ganze Wut, Verzweiflung, Ohnmacht, Hilflosigkeit zum Ausdruck. Ich selbst war am Ende meiner Kräfte und völlig überfordert. Anna-Lena ging damals, als er diesen Satz sagte, zu ihm hin, nahm ihn sehr liebevoll in ihre Arme, während Alexander bitterlich weinte. Als sie Alexander in ihren Armen hielt, sagte auch sie einen Satz, der mich nicht nur gleichfalls sehr erstaunte, sondern auch überaus bewegte. „Alexander, Mama ist bei dir und sie liebt dich.“ Ein dreijähriges Kind sagte diesen Satz! Ich war baff! Wie konnte sie diese Gewissheit mit drei Jahren haben? Welches Wissen war bereits in ihr, dass sie Alexander und letztendlich die gesamte Familie so aufbauen konnte?

Alexander, der heute sein Junggesellenleben in vollen Zügen lebt, ist weiterhin derjenige, der uns  immer mal wieder Sorgen macht. Annalena, inzwischen verheiratet und Mutter einer Tochter, ist diejenige, die ihn aufbauen kann. Nur von ihr nimmt er Hilfen an. Sie selbst ist heute eine sehr erfolgreiche Geschäftsfrau, mit einem eigenen Unternehmen und vielen Mitarbeitern, die sehr gerne für sie arbeiten.

Ich hatte nicht mehr geheiratet. Die wenigen Beziehungen, die es gab, gingen recht schnell zu Ende. Ich war und fühle mich einfach nicht mehr beziehungsfähig.

Heute glaube ich, ein lebensgebrochener Mann zu sein. Ich habe große Probleme damit, mein Leben positiv zu gestalten. Streng genommen habe ich an nichts mehr wirkliches Interesse, langweile mich schnell in Gesellschaft(en), suche die Ruhe und gleichzeitig doch auch wieder die Gemeinschaft mit anderen. Ich habe kaum mehr Kraft, mein Leben und unser Familienleben positiv zu gestalten und Alexander raubt mir weiterhin meine letzten Energien. Seit dem Tod meiner Frau, läuft einfach NICHTS mehr so harmonisch, wie zu ihren Lebzeiten.

Die Zuflucht, die Alexander und ich noch haben, ist Annalena. Ihre Kraft, Harmonie, Ruhe, Positivität, … scheint grenzenlos zu sein. Woher sie diese Kräfte nimmt, weiß ich nicht. Ohne sie wäre unsere engste Familie längst nicht mehr existent. Mit Annalena hatte meine Frau einen Engel geboren. Ich kann es wahrlich nicht anders beschreiben.“