Keiner sieht mich

„Egal, wo ich bin, ob im Büro, auf Partys, bei Fortbildungen, man nimmt mich einfach nicht wahr. Alle reden miteinander, haben Spaß, erzählen sich Witze, unterhalten sich über dies und das, aber ich stehe oder sitze nur daneben, höre zu, bekomme aber keine Aufmerksamkeit geschenkt. Noch nicht einmal ein Blick während der Gespräche geht in meine Richtung oder er streift mich nur kurz. Ich fühle mich in solchen Situationen so unscheinbar und frage mich, woran das liegen könnte, aber mir fällt dazu nichts ein.

Erst letzte Woche saß ich mit Freunden zusammen und wir überlegten uns, wohin wir über Pfingsten fahren wollten. Die Ideen überschlugen sich. Aber, wenn ich mal etwas sagte, wurde ich sogleich unterbrochen – ich glaube, man hatte gar nicht bemerkt, dass ich mich geäußert hatte. Gab ich einen positiven Kommentar zu einer Idee der anderen ab, ging darauf keiner ein, so als wäre ich gar nicht anwesend. Also verabschiedete ich mich recht bald, was bei den anderen zu keinerlei Irritationen führte. Im Auto fragte ich mich: „Haben die überhaupt registriert, dass ich da war?“

Selbst bei Familienfeiern fühle ich mich nicht wahrgenommen. Ich sitze mitten drin, höre zu, lache mit, aber auch hier trifft mich kaum ein Blick der anderen. Es ist so, als würde man immer so gerade eben an meinem Gesicht vorbeischauen. Hier und da erlebe ich mal ein ganz kurzes Gespräch, worüber ich schon happy bin. Aber nach wenigsten Minuten ist Schluss und man wendet sich wieder dauerhaft den anderen zu. Und wieder erlebe ich, dass keiner auf meine Wortbeiträge eingeht oder ich werde einfach unterbrochen. Ich fühle mich wie jemand, der zwar dabei ist, aber nicht dazu gehört. Ich fühle mich wie jemand, der unwichtig ist und keiner ein wahres Interesse an mir und meinen Gedanken hat.  Mein Vater hat die Angewohnheit, mir mit einem Arm zu signalisieren, dass ich meinen Mund halten soll. Oder er sagt genervt: „Halt dich da raus.“ „Sei doch still.“ „Was mischt du dich denn jetzt ein?“ „Dich hat doch gar keiner gefragt.“

In der Disco werden meine Freundinnen immer mal wieder zum Tanzen aufgefordert, während ich den ganzen Abend an der Theke stehe, mein Getränk trinke und den anderen zuschaue. Oder wir gehen gemeinsam auf die Tanzfläche – aber, wer wird „angetanzt“? Meine Freundinnen. An meinem Äußeren kann das nicht liegen, denn ich habe eine super Figur, bin schick gekleidet, geschminkt, kann mich gut bewegen und was aus meinem Mund kommt hat Sinn und Verstand.

Gar nicht mal selten passiert es mir, dass ich beim Einkauf an der Wurst- und Käsetheke oder auf dem Markt übersehen werde. Ist die Dame oder der Herr vor mir bedient worden, wendet man sich der Person hinter mir zu. Merkwürdig. Ständig muss ich darauf hinweisen, dass eigentlich ich nun an der Reihe bin. Entweder entschuldigt sich daraufhin die Verkäuferin und bedient mich, oder sie bedient dennoch erst die andere Person, bevor ich meine Wünsche erfüllt bekomme. Und auch die Person, die nun wirklich noch nicht an der Reihe war, lässt mir nicht den berechtigten Vortritt. Ich bin weder klein gewachsen, noch unscheinbar, aber dennoch werde ich übersehen. Manchmal „springt mir eine dritte Person zur Seite“ und klärt, wer jetzt bedient werden muss. Z.T. läuft dieser Einwand recht resolut ab und erzeugt bei den anderen betroffene Gesichter.

Im Büro erlebe ich ähnliches und dies wirklich öfter: Zwei Kollegen laufen auf dem Flur aufeinander zu, suchen bereits schon aus der Entfernung heraus den Gesprächsbedarf miteinander und überrennen mich fast, obwohl sie mich doch gesehen hatten. Eine flüchtige Entschuldigung erfolgt zwar, aber wertschätzend und wirklich um Verzeihung bittend ist das nicht. In der Kantine nimmt man mir „vor meiner Nase“ den Platz weg und registriert das noch nicht einmal. Oder man bittet mich um Verzeigung, setzt sich aber dennoch hin und ich muss mir einen anderen Platz suchen. Spreche ich mit einem Kollegen oder einer Kollegin, werde ich von einer dritten Person einfach unterbrochen, ohne dass diese zuvor darum bittet, mich kurz unterbrechen zu dürfen. Nein, sie quatscht einfach dazwischen. Und die angesprochene Kollegin / der angesprochene Kollege lässt das auch noch zu. Wie respektlos ist das denn? Es passiert durchaus, dass nach kurzer oder längerer Gesprächsdauer zwischen den beiden Kollegen, diese gemeinsam weggehen und mich da stehen lassen, obwohl ich mit meinem Gespräch noch nicht am Ende war. Ich muss nachdenken, wann man überhaupt mal meine Meinung ernsthaft hören wollte, geschweige denn, dass man mir überhaupt mal echt zugehört hatte. Ich fühle mich wie „das kleine, unscheinbare Mäuschen“, dass für alles sorgt, aber keiner weiß, wer das gemacht, organisiert, besorgt, auf den Schreibtisch gelegt oder anderes mehr getan hat. Irgendwie bin ich zwar da und oberflächlich weiß man auch um meine Existenz und meinen Namen, aber wahrgenommen, wertgeschätzt und respektiert fühle ich mich selten. Und dies, obwohl ich, wie alle anderen, meinen Büroplatz habe und gleichfalls sehr verantwortungsvolle Aufgaben für die Firma bearbeite.  Ist meine Bürokollegin krank oder im Urlaub, übernehme ich ihre Aufgaben mit. Das ist in unserer Firma so geregelt und muss auch für den weiteren Ablauf wirklich so sein. Bin ich nicht da, bleibt all das liegen, was nicht zwingend erledigt werden musste. Frage ich nach, warum das so ist, heißt es ihrerseits nur, sie hätte selber Unmengen zu tun gehabt und es täte ihr leid. Erlaube ich mir dieses Verhalten ihr gegenüber, bekomme ich böse Blicke zugeworfen und wir reden über Tage hinweg nur noch das Notwendigste miteinander. Ich werde also auch noch „bestraft“. Unverschämt! Anmaßend!

In der Stadt, auf dem Gehweg, im Geschäft, egal wo ich bin, ständig muss ich anderen den Weg frei machen. Mir gegenüber macht das aber keiner. Da drängeln sich die Leute am „Wühltisch“ noch dazwischen, schieben mich in dem eh schon vollen Fahrstuhl mit ihrem Körper beiseite, bleiben stehen, schauen mich an und ich trete zur Seite.

All die genannten Beispiele haben bestimmt auch schon viele andere Menschen erlebt, und wenn derartiges Mal passiert, kann man damit sicherlich auch souverän umgehen. Ich habe jedoch den Eindruck und das Gefühl, immer wieder in diese Situationen zu geraten und weiß nicht, woran das liegt. Ich bin freundlich, kollegial, hilfsbereit, nehme Rücksicht und rege mich im Gegensatz zu manch anderen nun wahrlich nicht über alles und jedes auf. Von meinem Erscheinungsbild her bin ich sehr gepflegt, modisch gekleidet, in meinen beruflichen Aufgaben bin ich top fit aufgestellt, rede durchdacht, höre gut zu, erkläre geduldig, und wenn nötig auch wiederholt dieselbe Frage oder Sachlage. Also, warum komme ich immer wieder in die zuvor dargestellten oder andere vergleichbare Situationen?“

 

Ich bin egal

"Ich weiß oft nicht mehr, wo mir der Kopf steht: Ständig Leistung, Druck, Noten, Zoff mit den Lehrern, die oft total ungerecht sind. Und selbst wenn meine Eltern mal mit den Lehrern reden, ändert sich danach gar nichts. Die ziehen ihren 'Stiefel' durch, so nach dem Motto "Hauptsache das Thema ist besprochen". Ob ich das so wirklich verstanden habe, scheint nur die Wenigsten zu interessieren. Ich fühle mich oft überfordert, hilflos, bin verzweifelt und weiß mir selber einfach keinen Rat mehr, wie ich die Leistungen erbringen kann. Alles was ich mache, scheint nicht auszureichen - ob ich lerne oder nicht, das kommt auf´s selbe heraus. Und meine Eltern sagen immer nur: "Da musst du durch - so ist das Leben. Aus Fehlern lernt man." Na super, aber was hilft mir das? Oft sitze ich dann in meinem Zimmer und weine oder ich dreh durch, schreie herum, knall die Türen zu, will, dass man mich endlich in Ruhe lässt oder ich will nur noch weg - weit weg! Wer liebt mich? Wer kümmert sich um mich? Wer interessiert sich wirklich für mich? …“