Ich traue mich nicht - feige sein

"Immer dann, wenn meine Frau oder Dritte eine andere Meinung haben, als ich, oder wenn sie ein Verhalten zeigen, was mir so gar nicht gefällt, habe ich Angst, dass die anderen bessere Argumente haben als ich. Oder ich befürchte, dass sie mich nicht mehr mögen, wenn ich meine Meinung sage oder sogar wagen würde, sie durchzusetzen.

Widerworte zu geben, das kann ich nicht, weil ich dann Angst habe, die positive Zuwendung zu verliere. Das war schon immer so. Schon als Kind traute ich mich nicht, meine Meinung zu sagen, sondern gab klein bei. So hatte ich dann tatsächlich auch weniger Schwierigkeiten mit anderen.

Ganz besonders schlimm ist es, wenn ich jemanden liebe, so wie z.B. meine Frau. Dann habe ich ein noch größeres Problem, denn ich möchte nicht ihre Liebe zu mir verlieren.

Meine Frau wird bei Diskussionen gerne auch mal lauter oder verlässt einfach den Raum und lässt mich da sitzen. Das Gespräch ist dann beendet und letztendlich wird gemacht, was sie möchte. Ich bin in unserer Beziehung einfach der schwächere Part – das war immer schon so. Schon als Kind gab ich lieber nach, als mich auf ein Streitgespräch einzulassen.

Um einen Konflikt zu vermeiden oder um meine Meinung nicht sagen zu müssen, versuche ich immer, in den  Gesprächen herauszufinden, welche Meinung der andere zu dem jeweiligen Thema hat. So kann ich mich dann auf diese Meinung einstellen und nach Argumenten suchen, die diese Meinung unterstützen.

Oft höre ich jedoch die Frage: „Hast du auch mal eine eigene Meinung zu der Sache?“. Sogleich fühle ich mich ertappt, kann das aber nicht zugeben. Ich weiß ganz genau, worauf die Frage abzielt, aber ich kann nicht wirklich meine Meinung sagen. Ich „eier“ dann herum, um mich bloß nicht festzulegen, denn irgendwie will ich dem anderen gefallen. Ich möchte, dass er sich bei mir wohl fühlt, indem ich ihn in seiner Meinung oder seinem Verhalten unterstütze.

Es ist wie ein anbiedern, ein gefallen wollen. Was ich dabei völlig vernachlässige, das bin ich selbst.

 

 

„Seit 8 Monaten habe ich eine neue Freundin. Wir verstehen uns richtig gut, haben gemeinsame Interessen, unternehmen viel miteinander und alles ist sehr harmonisch. Unsere vielen Gespräche sind sehr kurzweilig und wir lachen viel miteinander. Wenn ich mit ihr zusammen bin, fühle ich mich überaus wohl, geborgen, verstanden, geliebt und wertgeschätzt. Sie ist mir gegenüber sehr aufmerksam und sieht z.B. sofort, wenn ich mir neue Klamotten gekauft habe. Wir gehen beide gerne bummeln,  schlendern Arm in Arm einfach nur so durch die Stadt und schauen uns die Auslagen in den Schaufenstern an. Ganz spontan gehen wir in ein Cafe, ins Kino oder Restaurant, weil wir da gerade vorbeilaufen und unser beider Interesse geweckt ist. Diese Spontanität und damit das noch nicht wissen, was wir erleben werden, macht unsere Beziehung so herrlich unkompliziert. Alles ist im Fluss. So, wie es kommt, so kommt es. D.h., wir können uns auch mal sein lassen, ohne daraus ein Problem zu machen oder misstrauisch zu werden.

Doch eine Sache stört mich wirklich sehr: Alle meine Freunde kennen sie. Wir haben schon mehrere Unternehmungen, Partys und Radtouren gemeinsam gemacht. Letztes Wochenende hatte unsere Firma ein Sommerfest, zu dem ich sie natürlich mitnahm. Wir hatten beide viel Spaß und sie hatte sich angeregt mit meinen Kolleginnen und Kollegen unterhalten. Als wir an diesem Tag nach Hause fuhren, war sie sehr positiv von dem angetan, was sie und wir dort erlebt hatten.

Aber, und genau das stört mich sehr: Ich kenne in der Zwischenzeit zwar ihre ganze Familie. Nur, ich kenne bis heute noch keinen aus ihrem Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis. Mit denen trifft sie sich alleine. Dass sie ihren Geburtstag nur mit mir und ihrer engsten Familie feierte (Eltern, Bruder, Schwägerin), fand ich merkwürdig. Über ihre Eltern erfuhr ich, dass sie einen großen Freundeskreis hat, der aus gutsituierten Menschen besteht. Ihrem Wissen nach stehen alle mehr oder weniger regelmäßig im Kontakt miteinander und machen auch gemeinsame Unternehmungen. Komisch. Warum lässt sie mich hier außen vor? Warum nimmt sie mich nicht mit oder wir alle treffen uns mal zu einem gemeinsamen Grillabend? Feiert eine Freundin ihren Geburtstag, bin ich nicht dabei. Von derartigen Situationen erfahre ich nicht nur erst viel später, sondern auch nur gelegentlich durch Zufall. Spreche ich sie darauf an, reagiert sie verlegen und ausweichend. Wissen ihre Freundinnen noch gar nicht, dass es mich gibt? Scheinbar ist das so. Auf mich wirkt ihr Verhalten feige.

Ich weiß, dass ihr letzter Freund sie sozusagen hat sitzen lassen, worunter sie sehr gelitten hatte. Und da kommt mir nun die Frage, ob es vielleicht sein kann, dass sie hier noch etwas nicht verarbeitet hat? Kann es sein, dass sie doch noch irgendwie an diesem Mann hängt? Oder kann es sein, dass sie sich auf unsere Beziehung zu früh eingelassen hatte? Oder ist sie sich mit uns beiden evtl. noch nicht so wirklich sicher und lässt mich deshalb in der Öffentlichkeit außen vor? Ich weiß es nicht. Denn, wenn ich mich klar positioniere, dann verhalte ich mich doch auch so. Sie scheint diesen klaren Standpunkt und damit die Klarheit in unsere Beziehung für sich selbst noch nicht so wirklich aus tiefsten Herzen heraus zu haben. Ihre Aufrichtigkeit zu mir und uns beiden, die eine gute Beziehung ausmacht, fehlt ganz offensichtlich.“