Ich sitze im Rollstuhl

„Es war Winter und unser Glasdach vom Wintergarten lag hoch voll mit Schnee. Beim Schneeräumen fiel ich so Unglück herunter, dass ich seitdem querschnittsgelähmt bin. Lange Zeit lag ich im Krankenhaus, erhielt mehrere Rehabilitationsbehandlungen, verlor letztendlich meinen Arbeitsplatz (ich bin Familienvater und war diplomierter Elektroingenieur) und meine Frau sorgte fortan alleine für unsere Finanzen. Unser Haus, das noch lange nicht abbezahlt war, mussten wir, mit jetzt nur noch einem Gehalt, verkaufen. Wir bezogen eine behindertengerechte Wohnung mit einem schönen, großen Balkon in einer ruhigen Gegend mit freiem Blick auf die Wiesen und Berge. Wir wurden behördlich auch darin unterstützt, ein behindertengerechtes Auto kaufen zu können, in dem ich hinten mit dem Rollstuhl hineinpasste. Den Stress, den allein das alles machte, muss ich wohl nicht erzählen. Überhaupt wurde alles viel, viel schwieriger. Sehr, sehr viele Behördengänge und Anträge aller Art waren zu stellen. Viele davon wurden zunächst erst einmal abgelehnt, um dann nach so manchen Briefwechseln, Telefonaten und mit Unterstützung eines Rechtsbeistandes letztendlich doch bewilligt zu werden. Das kostete meiner Frau und mir überaus viel Kraft und Zeit. Ich bewundere meine Frau, wie sehr sie sich in die ganze Materien eingearbeitet hatte, für rechtliche Unterstützung sorgte, daneben noch arbeiten ging, für die Familie und den Haushalt sorgte, sich um unsere beiden Kinder kümmerte und dennoch nie verzagte. So eine Ehefrau, mit so viel Kraft und Zuversicht, Positivität und Mut, ist nicht selbstverständlich.

Ich selbst hatte unter meinem Zustand sehr gelitten. Diese vielen, ständigen Abhängigkeiten von Dritten und den Behörden waren mir zuwider. Dass meine Frau so dermaßen belastet wurde und ich auch mit unseren Kindern nicht mehr spielen, Fußballspielen, schwimmen, Rad- und Skifahren  konnte (ich war ein hervorragender und leidenschaftlicher Skifahrer), …, war für mich unerträglich. Ich konnte ihnen fortan immer nur dabei zusehen, aber selber nicht mitmachen. Schrecklich! Ich fühlte mich so hilflos und bedürftig, während ich vorher alles alleine managen konnte. Mit meiner Frau zu tanzen, was wir beide so gerne taten, zu wandern, gemeinsam Tennis zu spielen, all das und vieles mehr war für mich nie mehr möglich. Ich konnte unseren beiden Kindern nicht mehr der Vater sein, den sie kannten. Auch sie mussten auf vieles verzichten, was sie vor meinem Unfall wie selbstverständlich mit mir gemeinsam erlebten. In der Stadt erlebte ich ständig, wie sehr man mit einem Rollstuhl eingeschränkt ist. Treppen, Bordsteine, Baustellen auf dem Gehweg, abschüssige oder ansteigende Stadtstraßen, alles stellte ein Problem dar. Ich konnte zwar inzwischen schon recht gut und sicher mit dem Rollstuhl umgehen, aber nicht alles war mit dem Rollstuhl zu schaffen. Entweder brauchte ich Hilfe oder ich kam alleine nicht mehr weiter. Das hatte mich jedes Mal wütend und frustriert gemacht. Worüber ich früher nie nachdachte, war nun mein täglich Brot.

Ich bekam die Pflegestufe III, d.h., dass z.B. morgens und abends ein Pfleger kam, der mich wusch, rasierte, an- und umzog. Für meine Frau war diese Hilfe eine große Entlastung, für mich selbst ein überaus demütigender Zustand. Schon allein, wenn ich unsere Behindertentoilette sah, auf die man mich setzen musste, war unerträglich. Mir den Hinter abputzen lassen zu müssen, war mit größter Scharm besetzt. Ich fühlte mich wie ein Baby, dass nichts alleine machen konnte, war aber ein zuvor selbständiger Mann. Selbst wenn es mich irgendwo am Körper juckte, benötigte ich jemanden, der mich davon befreite, oder ich musste es aushalten. Ich fragte mich zunehmend mehr, welchen Nutzen ich eigentlich noch hatte, wofür ich überhaupt noch etwas tauge, für wen ich was wert bin oder darstelle und wurde immer verzweifelter. Nachts konnte ich zunehmend schlechter schlafen, konnte mich nicht mehr selber im Bett umdrehen, denn so, wie ich lag, so lag ich. Auch unser Sexleben änderte sich, woran wir beide uns erst gewöhnen mussten. Meine Frau war nun der einzige aktive Part, während ich nur noch meine Arme, nicht aber meinen Körper bewegen konnte. Diese Hilflosigkeit und Inaktivität war anfangs sehr belastend für mich, doch meine Frau nahm mir hier mein Gefühl der Hilflosigkeit und Unfähigkeit. Sie war überaus einfühlsam und wir fanden unsere Wege, ein für uns beide, wie auch für, erfülltes Sexualleben zu haben. Unabhängig davon wurde ich dennoch gegenüber meinen Kindern sowie meiner Frau immer wieder undankbarer und in vielen unterschiedlichen Situationen zunehmend mehr ungeduldig und mürrisch. Aber auch das fing meine Frau ebenfalls mit auf. Wir sprachen sehr viel miteinander, sie hatte sehr viel Verständnis für mein mich fühlen, baute mich immer und immer wieder klaglos auf und war für uns alle „der Fels in der Brandung“.