Älter werden - Alt werden

„Ich kann einfach nicht mehr so viel machen wie früher. Der Haushalt, das Treppensteigen, längere Spaziergänge mit dem Hund, das Tragen schwerer Einkaufstaschen, Radtouren, …, alles läuft einfach nicht mehr so gut, wie frühen. Man muss wissen, ich war ein echt drahtiger Kerl, muskulös, ausdauernd, sportlich, fit, aktiv. Heute? Heute ist es schrecklich für mich. Schon morgens nehme ich Tabletten für mein Herz und alles Mögliche andere ein. Einschlafen und Durchschlafen zu können, ist ein zunehmend größer werdendes Problem. Fast jede Nacht muss ich zur Toilette und bin dann hellwach. An Einschlafen ist nicht zu denken. Statt, wie früher, die Berge hinaufzulaufen, muss ich heute mit der Seilbahn oder dem Sessellieft fahren. Herunterlaufen geht bereits deutlich länger nicht mehr. Das geht so in meine Knie, dass ich danach tagelang Schmerzen haben und kaum mehr laufen kann.

Vor einem Jahr starb dann auch noch meine Frau, was ein richtig tiefes, schmerzhaftes Loch in mein Leben brannte. Wir hatten immer gerne kleinere und größere Reisen gemacht, haben uns viel miteinander unterhalten und in allem abgestimmt. Und da gab es dieses tiefe gegenseitige Vertrauen. Ich war mit ihr so glücklich. Wir lebten eine Ehe in beiderseitigem Glück. Wir waren ein echtes Team. Was der eine nicht konnte, übernahm der andere, oder wir suchten gemeinsam nach Wegen und Lösungen, um unsere Lebenshürden zu bewältigen. Mit ihr war mein und unser Leben wunderschön und sehr harmonisch. Noch im hohen Alter liefen wird Hand in Hand über die Straßen, gaben uns auch in der Öffentlichkeit ein Küsschen, liebten die Schönheit der Natur, in der wir uns oft aufhielten und freuten uns unseres Lebens. Unsere drei Kinder und inzwischen 5 Enkelkinder machten uns beiden so viel Freude. Wenn sie uns besuchten, waren das jedes Mal wunderschöne Tage.

Das heutige Alleinsein und die fehlenden gegenseitigen Hilfen, wie auch die vielen harmonisch-verbalen Kontakte und wunderschönen körperlichen Streicheleinheiten, sind ein großes Übel geworden. Heute muss ich alles mit mir alleine abmachen und kann auf die liebevollen Lösungen meiner Frau nicht mehr zugreifen. Jetzt muss ich all das selber leisten und stelle fest, dass ich mich sehr auf meine Frau gestützt hatte. Bei ihr konnte ich mich emotional ausruhen. Sie hatte immer eine gute Lösung für Dinge, die mich aufregten. Sie brachte mich stets „runter“, sodass ich wieder klarer und positiver die jeweilige Situation, Entscheidung oder sogar mein Leben anschauen konnte. Mit ihr war mein und unser Leben so wunderbar. Jeder Tag hatte seine Struktur, wir wertschätzten uns gegenseitig sehr, sprachen Meinungsverschiedenheiten oder auch Konflikte ruhig an und fanden stets eine für uns beide annehmbare Lösung. Ohne sie fühle ich mich heute nur noch zur Hälfte. Sie fehlt mir überall. Klar, den Haushalt, das Einkaufen und Kochen bekomme ich nach wie vor alleine hin, denn meine Frau unterrichtete mich darin. Mein Gott, wie oft hatten wir gemeinsam wunderschöne, schmackhafte Gerichte für uns oder unsere Gäste gezaubert. Wie sehr genoss ich es, mit ihr Spaziergänge zu machen, Reisen zu unternehmen, und durch sie auch die kleinsten Dinge wahrzunehmen. Beispiele sind ein Maikäfer auf einem Blatt, schön gewebte Spinnennetze, die traumhafte Natur, in der wir beide leben durften, die Gerüche des Waldes und vieles andere mehr.

Aufgrund meines Alters (ich bin heute 90 Jahre alt) kann ich heute so manches nicht mehr, was vor fünf oder zehn Jahren noch gar kein Problem war. Wie gesagt, ich hatte einen komplett durchtrainierten Körper und war bzw. bin immer noch geistig absolut fit. Mir fällt es aufgrund meines Alters zudem schwerer, immer öfter Hilfen von Dritten annehmen zu müssen, die z. B. meine Enkelkinder leisten. Die können einfach alles deutlich schneller und inzwischen auch besser als ich. Da geht es z.B. ums Autowaschen, einen Großeinkauf, kleinere Reparaturen in meiner Wohnung, die Pflege meines Gartens. Auch vieles andere klappt einfach nicht mehr so, wie ich es in meinem Leben gewohnt war. Mir diesen Zustand eingestehen zu müssen, tut weh und gibt mir das Gefühl, für mich und die Gesellschaft nicht mehr wirklich brauchbar oder wichtig zu sein. Das nagt sehr an meinem Selbstwertgefühl. Wer braucht mich eigentlich noch? Wen könnte ich noch wie unterstützen, oder ist es inzwischen nicht so, dass Dritte mich unterstützen müssen, damit ich einigermaßen klar komme? Schrecklich!

Meine verstorbene Frau und ich hatten auch zwei Zwergschautzer, die heute noch leben. Die müssen dreimal am Tag raus. Vor ein paar Jahren hatte ich das problemlos gemeistert. Morgens ca. 1,5 Stunde, nach dem Mittagsschlaf 30 Minuten und Abend noch einmal eine Stunde. Da kamen täglich etliche Kilometer zusammen. Morgens ging ich anschließend noch Einkaufen und unterstützte danach meine Frau im Haushalt.  Heute bin ich manches Mal so müde vom morgendlichen Spaziergang, dass ich mich hinlegen muss. Und wenn ich nicht aufpasse, schlafe ich ein. Auch die Spaziergänge selbst sind inzwischen kürzer geworden, weil ich es körperlich nicht mehr schaffe. Da unsere beiden Hunde ebenfalls alt sind (12 und 14 Jahre) macht es den beiden wahrlich nichts aus. Die schlafen nach dem morgendlichen und abendlichen Spaziergang erst einmal.

Den Haushalt, mit allem, was dazugehört, bewältige ich heute noch alleine. Kochen, waschen, bügeln, Fenster putzen, wischen, staubputzen, einkaufen, Gartenpflege, …, sind für mich keine Schwierigkeiten. Ich kann das alles natürlich nicht mehr an einem Tag machen. Diese Zeiten sind vorbei. Aber von den 18 Fenstern putze ich dann eben nur 3-5 pro Tag. Überhaupt habe ich mir all diese Aufgaben aufgeteilt. So habe ich jeden Tag genug zu tun, bekomme keine Langeweile und sitze auch nicht im sogenannten „Opa-Sessel“.  Denn wenn ich mich in den auch nur einmal reinsetze, komme ich aus dem nicht mehr heraus. Ich muss zugeben, schon auch ein wenig stolz darauf zu sein, keine fremde Hilfe zu benötigen und ich mich nach wie vor immer wieder selber aufraffen kann, mein Leben zu leben und die Aufgaben zu erfüllen, die anstehen.

Meine Frau und ich hatten unseren großen Freundeskreis vornehmlich durch sie. Sie sorgte auch dafür, dass er gepflegt wurde und ich unterstütze dies. Aber seit sie tot ist, nimmt die Kontakthäufigkeit deutlich ab. Ich bin nicht so ein kommunikativer Mensch, der regelmäßig Menschen um sich haben muss. Ich kann auch sehr gut alleine sein und mich beschäftigen. Unsere Freunde sind zwar immer noch an meiner Seite, aber so oft oder regelmäßig wie früher haben wir den Kontakt nicht mehr.

In den Urlaub fahre ich nur noch einmal pro Jahr. Als meine Frau noch lebte, waren wir innerhalb Deutschlands 3 - 4 Mal pro Jahr für 2 - 3 Wochen unterwegs (Flugurlaube waren für uns beide nichts).  Da ich nun alleine bin, werden die Urlaubsaufenthalte doch erkennbar langweiliger. Ich aktiviere mich zwar nach wie vor selber, aber es ist doch ein großer Unterschied, ob man jemanden an seiner Seite hat, oder nicht. Zudem war ich diese Zweisamkeit 62 Jahre lang mit meiner wunderbaren Frau gewohnt. Natürlich hatten auch wir unsere Dispute, aber wir fanden immer und schnell wieder zueinander. Das bedurfte von uns beiden sehr großer Kompromissbereitschaft, Frustrationstoleranz, einem immer mal wieder  Zurücktreten sowie dem Verzicht, Verständnis, Einfühlungsvermögen und Vergleichbarem mehr. Und es bedurfte auch der Bereitschaft des wieder aufeinander Zugehens, ohne, und das ist ganz wichtig, nachtragend zu sein. 62 Jahre Ehe, in der drei Kinder großgezogen wurden, hat seine Schwächen, aber auch seine vielen wunderbaren Seiten und Erlebnisse.